Betrogen vom eigenen Vater?
Eine Heiratsurkunde und ein Familienstreit
Claudia Colini und Daisy Livingston
Read the English version of this entry here.

SUB Hamburg
P. Hamb. Arab. 1 ist eine Heiratsurkunde, die sich mit den finanziellen Aspekten der Ehe zwischen ʿĪsā ibn Abī l-Faḍl ibn Maḫlūf und Ḫibāʾ, der Tochter von Ḫalīfa ibn Ṯābit ibn Suraqa, beschäftigt. Beide Partner stammten aus Kaufmannsfamilien in der Provinzhauptstadt Al-Bahnasa, die früher Oxyrhynchus hieß und in Mittelägypten lag.
Das Manuskript ist in drei Textblöcke unterteilt, geschrieben bei drei Gelegenheiten über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren. Der erste und längste Text (in den oberen beiden Dritteln von Abb. 1), der in einer eleganten kursiven Handschrift verfasst ist, datiert vom 12. Ǧumādā al-Ūlā 604, das entspricht dem 4. Dezember 1207. Nach einer Präambel über die Vorteile der Ehe und einem Koranzitat wird festgehalten, dass der Braut 35 Golddinar als Heiratsgeschenk zustehen; davon sind zehn im Voraus, die restlichen 25 in jährlichen Raten über die nächsten zwölfeinhalb Jahre zu zahlen. Brautvater Ḫalīfa vertrat bei dieser Transaktion seine Tochter, und er war rechtlich verpflichtet, ihr das Geld zu übergeben. Dem Text folgen die Aussagen von sechs Zeugen, in Spalten angeordnet, die dem Geschäft Gültigkeit verleihen.

SUB Hamburg
zweiten Texts, auf der die
Aussagen der verschiedenen
Zeugen weiß gekennzeichnet
und die Bermerkungen des
Richters gelb umrandet sind.
Der zweite Text (Abb. 2), der unterhalb des ersten eingefügt wurde und im unteren Drittel der Seite beginnt, datiert vom 13. Muḥarram 617, also dem 20. März 1220. Ihm zufolge hat ʿĪsā die Zahlung der Schenkung, die sich nun in der Obhut seines Schwiegervaters Ḫalīfa befand, abgeschlossen. Vier Zeugen bestätigen dies, darunter der Schreiber des Dokuments, Ismaʿīl ibn Muḥammad ibn. Ismaʿīl. Die Position der folgenden drei Aussagen ist ungewöhnlich, da sie rechts vom Text erscheinen; eine ist sogar senkrecht zu den anderen und mit dunklerer Tinte geschrieben („Witness 4“). Das deutet darauf hin, dass sie bei anderer Gelegenheit hinzugefügt worden sein könnten, obwohl sie dasselbe Datum wie das Dokument tragen. Trotz dieser ungewöhnlichen Anordnung wurden mindestens zwei der Zeugen von einem Richter geprüft, der sein Urteil über ihre Zuverlässigkeit unter ihre Aussagen schrieb, was Teil eines juristischen Verfahrens zur Sicherstellung der Gültigkeit von Transaktionen war.

SUB Hamburg
Der letzte Text (Abb. 3), der wegen der Löcher im Tuch unvollständig ist, wurde am 13 Ṣafar 619, also am 29. März 1222, von demselben Schreiber wie der zweite Text verfasst. Er berichtet, dass Hibāʾ vor einem Richter einen Eid ablegte und sich darüber beschwerte, das Geld von ihrem Vater nicht erhalten zu haben. Dieses Vorgehen war sehr unüblich, aber wahrscheinlich notwendig, weil es keine andere Möglichkeit gab, um geltend zu machen, dass das Geld nicht ausgezahlt worden war. Die Aussagen von drei Zeugen, einschließlich des Schreibers, folgen dem Text in der üblichen Spaltenanordnung. Leider findet sich in der Handschrift keine abschließende Quittung, die die endgültige Übergabe der Summe bezeugt

Lauren Nishizaki/Claudia Colini
Die Dokumente sind auf zwei ähnliche Stücke hellgelben Leinens geschrieben, die beide die gleichen Abmessungen haben und zu einem größeren Stück von 101,3 × 45,4 cm zusammengeklebt sind. Das Textil ist in einer gewöhnlichen Leinwandbindung gewebt, wobei die gelbe Farbe das Ergebnis einer Färbung oder des Abbauprozesses des ursprünglich weißen Stoffes ist (Abb. 4). Leinen war ein ungewöhnliches Trägermaterial für juristische Dokumente, kam für Heiratsurkunden aber öfters zum Einsatz, vielleicht, um diesen Artefakten besonderen Status und Langlebigkeit zu verleihen. Da die Braut aus einer Familie von Tuchhändlern stammte, war ein Stück Leinen für sie vermutlich leicht zu beschaffen und im Vergleich zu Pergament oder hochwertigem Papier nicht allzu teuer.

Alle in diesem Manuskript verwendeten Tinten sind Tinten auf Kohlenstoffbasis. Dies deutet darauf hin, dass jedes Mal nur eine einzige Tinte verwendet wurde, mit Ausnahme vom zweiten Text, wo die von Zeuge 4 verwendete Tinte sichtbar anders ist, obwohl zum selben Typ gehört. Um diese Hypothesen zu bestätigen, wenden wir derzeit zusätzliche Untersuchungsmethoden an, um Mischtinten zu identifizieren und Tinten auf Grundlage ihrer Verunreinigungen zu unterscheiden.