„Ghert Klinghe hat mich gegossen“
Geschichte eines mittelalterlichen Taufbeckens
Jochen Hermann Vennebusch
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In kaum einer anderen Region sind auch nur annähernd so zahlreiche bronzene Taufbecken aus dem Mittelalter vorhanden wie in Norddeutschland. Bis heute haben sich in Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern rund 113 Taufbecken, sogenannte Fünten (von lat. fons = Taufbrunnen), erhalten. Während die ältesten von ihnen wie die Taufgefäße aus den Domkirchen in Hildesheim und Osnabrück aus dem frühen 13. Jahrhundert stammen, wurde die jüngste im Jahr 1515 für die Kirche in Flintbek bei Kiel von Meister Reimer Jappe gegossen. Aufgrund dieser Spanne von ungefähr drei Jahrhunderten spiegeln die norddeutschen Fünten die ganze Bandbreite konzeptioneller Variationen und technologischer Facetten wider.
Schon oft wurde die Frage diskutiert, warum sich die bronzenen Taufbecken des Mittelalters vor allem auf Norddeutschland und nicht etwa auf Mittel- und Süddeutschland konzentrieren. Bisweilen wurde angenommen, dass die niedrigen Natursteinvorkommen, die in Norddeutschland zur Entwicklung der Backsteinarchitektur geführt haben, dafür ausschlaggebend waren. Heute geht man aber davon aus, dass der Grund in den ähnlichen Gusstechnologien von Glocken und Taufbecken liegt. Ein bedeutendes Zentrum für die Herstellung von Taufbecken wie auch von Glocken bildete die Stadt Bremen mit der ab dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts nachweisbaren Werkstatt der Familie Klinghe. Diesem mittelalterlichen „Familienbetrieb“ lassen sich noch heute insgesamt 16 Fünten sowie zahlreiche Glocken zuschreiben. Die meisten von ihnen sind signiert, sodass keinerlei Zweifel an der Zuweisung bestehen, in anderen Fällen ermöglichen konzeptionelle und stilistische Details, die Taufbecken auf diese Gießerfamilie zurückzuführen.
Ein qualitativ äußerst hochwertiges Taufbecken steht in der ehemaligen Benediktinerabteikirche Haseldorf. Dieses 85,6 cm hohe Taufbeckenwird von vier rund 46 cm hohen Figuren getragen, die als Kleriker gezeigt sind. Die Dalmatik, das liturgische Gewand, weist sie als Diakone aus. Auf diesen Figuren liegt der eigentliche Taufkessel auf, der wie eine umgestülpte Glocke gestaltet ist. Umlaufende Stege teilen sie in zwei Inschriftbänder am oberen und unteren Rand ein, die das zentrale, fast die gesamte Wandung einnehmende mittlere Register einfassen, das vollständig architektonisch strukturiert ist. Unter den Arkaden stehen die Heiligenfiguren, die durch Inschriften in ihren Nimben als „s mathias“, „s bertolome“, „s benedict“, „s iacobvs“, „s simon ivde“, „s iacobvs“, „s andreas“, „s petrvs“, „s pavle“, „s iohans“, „s tomas“ und „s philipvs“ bezeichnet sind. Darüber hinaus sind die Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind, ein Bischof oder Abt, möglicherweise der heilige Mauritius sowie die Darstellung der Kreuzigung Jesu zu sehen. Dem gängigen ikonografischen und im Mittelalter weit verbreiteten Schema folgend stehen unter dem Kreuzbalken Maria links sowie der Jünger (und Evangelist) Johannes rechts. Oberhalb des Kreuzbalkens sind die Buchstaben „inri“ zu lesen. Hierbei handelt es sich um die Anfangsbuchstaben des lateinischen Kreuztitulus „Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum“, der laut dem Johannesevangelium (Joh 19,19) auf Geheiß von Pontius Pilatus am Kreuz Christi angebracht und in lateinischer, aber auch in griechischer und hebräischer Sprache „Jesus von Nazareth, König der Juden“ besagte.
Beim Kreuzestitulus handelt es sich jedoch nicht um die einzige Inschrift, die an diesem Taufbecken wiedergegeben ist. So zielt die Inschrift am oberen und unteren Rand auf die Anschaffung und Herstellung der Fünte ab: „++++ anno + d(omi)ni + m° + ccccliiii venerabilis d(omi)n(u)s abbas iohannes de lv qvi hoc vas fieri ivssit vitvs prior mathias grim(m)eken hardewicvs prang hinricv(s) tornei bertoldvs lvtteken / arnoldvs + dvbbelt + daniel stadis iohannes momckbvsc + ghert klinghe mi ghegote(n) ha(t)“ (I’m Jahr des Herrn 1454. Der ehrwürdige Herr Abt Johannes von Lu, der dieses Taufgefäß hat machen lassen. Prior Vitus, Matthias Grimmeken, Hartwich Prang, Heinrich Tornei, Berthold Lutteken / Arnold Dubbelt, Daniel Stadis, Johannes Mönchbusch. Ghert Klinghe hat mich gegossen.”)
Das als Abguss ausgestellte Relief der Kreuzigung verdeutlicht ein technologisches Detail der Herstellung dieser Bronzetaufe. Es ist erkennbar, dass die einzelnen Buchstaben des Kreuzestitulus nicht auf einer Grundlinie stehen, sondern teilweise etwas schief wiedergegeben sind. Das Taufbecken wurde folglich im Mantelabhebeverfahren hergestellt. Bei dieser Fertigungsmethode wurde zunächst ein in einer tiefen Grube auf einem Sockel stehender Kern aus Ziegelsteinen aufgemauert und anschließend mit Lehm verkleidet. Mithilfe einer Schablone wurde der Lehm abgestrichen, sodass die innere Wandlung des Taufbeckens, die durch den Kern gebildet wurde, gleichmäßig wurde. Über einer Schicht aus Talg wurde schließlich das sogenannte Hemd aufgetragen, das exakt die Ausmaße des schließlich zu gießenden Taufbeckens besaß. Erneut wurden mit einer Schablone der Lehm akkurat abgedreht, um dem Taufbecken eine exakte Form und eine einheitliche Kurvatur der Wandung zu verleihen. Es wurde wiederum Talg aufgetragen, der zudem mit weiteren Schablonen zu umlaufenden Stegen geformt wurde, die später die Inschriften einfassen sollten. Darüber hinaus wurden aus Wachs mithilfe von Modeln modellierte Figuren und Reliefs sowie die architektonischen Glieder aufgesetzt. Auch befestigte man die Buchstaben, die schließlich die Inschriften bildeten. Hierbei galt jedoch zu beachten, dass sowohl die Figuren als auch die Architekturen und Inschriften auf dem Kopf stehend aufgesetzt, die Inschriften sogar linksläufig angebracht werden mussten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Taufbecken wie Glocken mit der Öffnung nach unten gegossen und erst nach dem Guss umgedreht wurden.
Nachdem die Wachsapplikationen aufgesetzt worden waren, wurde erneut eine Schicht Talg aufgebracht, bevor die Form mit einem Mantel aus Lehm überzogen wurde. Schließlich wurde in dem Sockel, auf dem das Taufbecken modelliert wurde, ein Feuer entzündet, wodurch die einzelnen Formen trockneten und die Wachsapplikationen auf dem Lehmhemd schmolzen. Zuvor hatten sie jedoch im Mantel ihren Abdruck hinterlassen. Danach wurde der Mantel abgehoben, das Lehmhemd zerschlagen und schließlich der Mantel auf einem Gerüst stehend von innen nachbearbeitet. So konnten kleine Details korrigiert werden. Am Taufbecken in Haseldorf betraf dies die Kreuzbalken, die mit einem Griffel in den ausgehärteten Lehm geritzt wurden, aber auch die kleinen Darstellungen von Sonne und Mond über dem Kreuzbalken wurden nachträglich hinzugefügt. Danach wurde der Mantel wieder über den Kern gestülpt und die Grube mit Sand gefüllt, der festgestampft wurde, um den Mantel in Position zu halten. Anschließend wurde die sogenannte Speise, die flüssig gewordene Bronze, durch Kanäle in die Form geleitet, wo sie den Zwischenraum zwischen Mantel und Kern ausfüllte. Nachdem alles ausgehärtet und abgekühlt war, konnte schließlich die Form freigelegt, der Mantel zerschlagen und das Taufbecken vom Kern abgehoben werden. Danach wurde es nachbearbeitet, poliert, in seltenen Fällen sogar farbig gefasst.
Beim Taufbecken aus Harsefeld sind offensichtlich beim Anbringen des Lehms für den Mantel einige Buchstaben des Kreuztitulus verrutscht. Ob sie möglicherweise nicht sorgfältig genug angebracht worden waren oder ob man den Lehm des Mantels mit zu wenig Feingefühl auftrug, kann heute nicht mehr gesagt werden. Auch wenn man diese kleinen Abweichungen vielleicht als Makel ansehen kann, so geben diese Spuren wichtige Rückschlüsse auf den Fertigungsprozess dieses mittelalterlichen Taufbeckens.