Provenienzen der Hamburger Papyri
Sammeln in kolonialen Kontexten
Jakob Wigand
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Die Hamburger Papyrussammlung gehört zu den großen Sammlungen innerhalb der Handschriftensammlungen der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Über 1100 Papyri unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Schrift, Sprache und Materialität werden hier aufbewahrt. Die diverse Sammlung wird durch die gemeinsame Herkunft der Stücke zusammengehalten: Alle Papyri der Sammlung stammen aus Ägypten und sind seit dem frühen 20. Jahrhundert in Hamburg. Wie aber kam die Bibliothek an diese Papyri? Und ging es dabei mit rechten Dingen zu?
Die Hamburger Papyrussammlung wurde 1906 begründet. Die Stadtbibliothek Hamburg trat damals dem Deutschen Papyruskartell bei, einer Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Papyri gemeinschaftlich für mehrere deutsche Sammlungen zu erwerben. Die Bibliothek zahlte jährlich einen Betrag auf ein Gemeinschaftskonto ein und sicherte sich so Anteile an vom Kartell getätigten Ankäufen vornehmlich griechischer Papyri. Auf diesem Wege kamen von 1907 bis 1914 Papyri nach Hamburg. Darüber hinaus wurden von 1910 bis 1914 mit einem seperaten Budget arabische Papyri über das heutige Deutsche Archäolgische Institut in Kairo angekauft.
Zum Zeitpunkt dieser Ankäufe war Ägypten kein unabhängiger Staat, sondern unterstand einer britischen Militärregierung. Die ägyptische Antikenbehörde wurde von französischen Beamten geleitet. Forscher anderer Nationen versuchten wiederholt auf Gesetzgebung und Entscheidungen der Behörde Einfluss zu nehmen. Obwohl die ägyptischen Gesetze Ansätze eines modernen Kulturgüterschutzes enthielten, waren sie insbesondere wegen ihrer mangelhaften Durchsetzung nicht Ausdruck einer souveränen ägyptischen Nation, sondern Resultat kolonialer Fremdbestimmung. Insbesondere die Regelungen für die Ausfuhr von Papyri und anderen Antiken wurden in dieser Zeit oft im Sinne europäischer Sammlungen ausgelegt. Das wussten auch die damaligen Sammler, die die „Gunst der Verhältnisse in Ägypten“ betonten. Kolonialismus beförderte somit den Aufbau europäischer Papyrussammlungen.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es für die Bibliothek zunehmend schwieriger, Papyri zu kaufen. Grund hierfür waren neben dem Ende des Papyrukartells, gestiegenen Preisen und finanziellen Schwierigkeiten der Bibliothek auch der verschärfte ägyptische Kulturgutschutz. Mit der formalen Unabhänigkeit Ägyptens im Jahr 1922 forderten immer mehr Ägypterinnen und Ägypter, dass ägyptische Kulturgüter auch in Ägypten erforscht, aufbewahrt und ausgestellt werden sollen. Das ägyptische Antikengesetz wurde zunehmend stärker durchgesetzt. Diese Verschärfung schlug sich auch in den Archivalien der SUB nieder. So berichtet der Koptologe Carl Schmidt in einem Briefen an den Direktor der SUB von strengen Kontrollen der ägyptischen Antikenbehörde: „Immer schwieriger wird die Ausfuhr; auf legalem Wege kann man gute Stücke überhaupt nicht durchbekommen. Der Generaldirektor Lacau geht mit grossem Rigorismus vor“ (SUB Hamburg, Cod. Hans.III:10:6, Carl Schmidt an Gustav Wahl, 29.03.1929).
Trotz verschärfter Regelungen und Kontrollen kauften Carl Schmidt sowie der Papyrologe Wilhelm Schubart auch in den 1920er Jahren neue Papyri für die Sammlung der Staats- und Universitätsbibliothek an. Aufgrund lückenhafter Dokumentation konnten in vielen Fällen bisher die genauen Umstände dieser Ankäufe nicht zweifelsfrei geklärt werden. Ausfuhrgenehmigungen, die einen legalen Ankauf sowie eine legale Ausfuhr beweisen würden, konnten bis dato für keinen Hamburger Papyrus nachgewiesen werden. Bei einigen Stücken besteht dabei begründeter Verdacht, dasss die Ausfuhr ohne Genehmigung stattfand.
Die ersten Forschungsergebnisse zur Provenienz der Hamburger Papyrussammlung zeigen, dass weitere Untersuchungen stärker in die aktuelle Debatte um Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten eingebunden werden sollten. Diese Debatte beschäftigt sich unter anderem mit der hochaktuellen Frage des verantwortungsvollen Umgangs mit unmoralischen oder illegalen Erwerbungen. Das Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“, die SUB und die Forschungsstelle Hamburgs (post)koloniales Erbe haben es sich daher zum Ziel gesetzt, die Provenienz der Papyrussammlung zu untersuchen und faire Lösungen anzustoßen.