Leopold Jessners Hamburger Theaterarbeit
Transkriptionen von Regie- und Inspizierbüchern vom Thalia Theater
Pierre Berton, Yvette (1904) / Amélie Nikisch und Ilse Friedlaender, Prinz Adolar und das Tausendschönchen (1906) / Georg Büchner, Dantons Tod (1910/11).
Herausgegeben von Anna Sophie Felser und Martin Jörg Schäfer unter Mitarbeit von Laura Bach, Luisa Dietsch und Hannah Göing
Centre for the Study of Manuscript Cultures, Hamburg 2025.
Datensatz/Dataset DOI: 10.25592/uhhfdm.18180
Der vorliegende Datensatz besteht aus Transkriptionen von drei unterschiedlichen Bühnenbüchern aus der Arbeit des Regisseurs Leopold Jessner am Hamburger Thalia Theater im frühen 20. Jahrhundert. Die Schriftartefakte gehören zur Theatersammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky Hamburg. Sie sind im Rahmen des zweiten Teils des Forschungsprojekts RFD08 “Multilayered Writing in Hamburg Prompt Books and Playbooks since the 18th Century” (2023–25), Teil des DFG Exzellenzclusters 2176 “Understanding Written Artefacts”, digitalisiert worden. Weitere Informationen zum Kontext zum Forschungsprojekt und den Bühnenbüchern geben ein digitaler Ausstellungsrundgang und ein ausführlicher Ausstellungskatalog zu Jessners Hamburger Theaterarbeit: uhh.de/csmc-jessner.
Folgende Bühnenbücher wurden transkribiert:
Yvette, Regiebuch, Thalia Theater, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, SUB-Sondersammlungen A/617490. Durchschuss einer Buchausgabe von Pierre Berton, „Yvette. Schauspiel in 4 Akten; nach Guy de Maupassants gleichnamiger Novelle“ von 1904 bei Ahn in Berlin. Weitere Metadaten und Digitalisat unter: https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1830373463.
Prinz Adolar und das Tausendschönchen. Weihnachtsmärchen mit Musik, Regiebuch, Thalia Theater, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, SUB-Sondersammlungen TTH TB Nik 1. Handschriftliche Abschrift (mit jeweils einer Freiseite) des Stücks von Amélie Nikisch mit Ilse Friedlaender von 1906. Weitere Metadaten und Digitalisat unter: https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1852702478.
Dantons Tod, Inspizierbuch, Thalia Theater, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, SUB-Sondersammlungen A/617497. Durchschuss einer Buchausgabe von Georg Büchners „Dantons Tod“, 1903 im O. Hendel-Verlag in Halle a. S. Weitere Metadaten und Digitalisat unter: https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1807421775.
Die Transkriptionen beziehen sich sowohl auf die buchinternen Seiten, als auch auf die Zählung der PDF-Seiten der Digitalisate. Unter dem Link https://digitalisate.sub.uni-hamburg.de/ können weitere Digitalisate der Theatersammlung gesucht und abgerufen werden.
Hintergrund:
Der Schwerpunkt der zweiten Projektphase von RFD08 lag auf den vielschichtigen Bühnenbüchern aus dem frühen 20. Jahrhundert: vor allem Regie-, und Inspizierbücher, am Rande Soufflier- und Rollenbücher. Dabei dienen alle überlieferten Materialien der Regiezeit Leopold Jessners am Thalia Theater Hamburg (1904—1915). Die beiden Regiebücher und das eine Inspizierbuch stammen von Produktionen, in denen Leopold Jessner Regie führte. Jessner avancierte in den 1920er Jahren zum prägenden Intendanten und Regisseur der Weimarer Republik und auch zu einem der Begründer des europäischen Regietheaters des 20. Jahrhunderts. Die Bühnenbücher aus dieser Zeit sind weitgehend nicht überliefert. Sehr wohl überliefert, aber bisher fast nicht beachtet sind aber die Bühnenbücher seiner Anstellung am Thalia Theater von 1904 bis 1905. Da Jessners Nachlass wohl im erzwungenen Exil nach 1933 verloren ging, handelt es sich hier um eine essenzielle theaterhistorische Quelle.
Die drei Bühnenbücher wurden exemplarisch ausgewählt, da sie aus unterschiedlichen Produktionskontexten und Schreibprozessen stammen und diese sich in ihnen manifestieren. Für jedes der Bühnenbücher wurde eine Transkriptionstabelle erstellt, um sie für weitere Forschungen zugänglich zu machen. Aufgrund der unterschiedlichen materiellen Machart und Verwendung der Bücher gleichen sich die Tabellen untereinander nicht: Ihr Aufbau ist eine individuelle Reaktion auf das jeweilige Schriftartefakt. Mit Hilfe der Tabellen soll eine Arbeit mit den Bühnenbüchern ermöglicht bzw. erleichtert werden. Vor allem die hastige Handschrift des Regisseurs Leopold Jessners, die zudem das ältere Kurrent mit dem zeitgenössischen Sütterlin mischt, zeichnet sich durch weitgehende Unlesbarkeit aus; durch die Transkriptionen wird sie zugänglich bzw. entzifferbar gemacht.

Das erste Bühnenbuch ist eine Regiebuch von Leopold Jessner: Es handelt sich um das Pierre Bertons Schauspiel Yvette, eine Dramatisierung des gleichnamigen Romans von Guy de Maupassant von 1884 (SUB - Sondersammlungen A/617490). Am Thalia Theater Hamburg hatte die Produktion am 15.05.1904 Premiere. Das Regiebuch wurde wegen seiner besonderen Stellung im Korpus ausgewählt: Anders als die meisten Regiebücher ist hier erkennbar, dass Jessner darin bereits vor Probenbeginn sein Konzept hat. Die meisten seiner anderen Regiebücher weisen hingegen einen starken Notizbuchcharakter auf: Die dortigen Annotationen wurden offenkundig im Probenprozess selbst erstellt und scheinen von großer Hast und Ungenauigkeit geprägt. Das Yvette-Regiebuch gehört jedoch zu Jessners „Bewerbungsproduktion“, um als Regisseur am Thalia Theater angestellt zu werden. Dementsprechend sind dort seltene und detailreiche Skizzen und durchdachte Vorüberlegungen der Abläufe zu finden.

Das zweite Bühnenbuch ist das Regiebuch vom Weihnachtsmärchen Tausendschönchen, auch Prinz Adolar und das Tausendschönchen von Amélie Nikisch und Ilse Friedlaender (SUB – Sondersammlungen TTH TB Nik 1). Es wurde am Thalia Theater Hamburg am 09.12.1906 erstmals aufgeführt. Beim Stück handelt es sich um eines der wenigen von Frauen verfassten Dramen, die zu der Zeit am Thalia Theater (und auf deutschsprachigen Bühnen insgesamt) gespielt wurden. Die Besonderheit hier liegt in der zweifachen Handschrift: Nicht nur die Regieannotationen Leopold Jessners, sondern auch der Primärtext wurde handschriftlich erstellt. Bei Jessners Vorlage handelt es sich um eine Abschrift, die entweder vom Theaterverlag zur Verfügung gestellt oder von einem zur Verfügung gestellten Original am Thalia abgeschrieben wurde. Am Anfang des 20. Jahrhunderts herrscht eine große materielle Vielfalt, was die Bühnenbücher betrifft: Neben der üblichen Variante gedruckter und durchschossener Bücher vom Theaterverlag gibt es auch Maschinenschriften, Handschriften und noch seltener Durchschlagkopien von Handschriften der Textvorlage. Zwar ist in anderen Theaterarchiven auch eine (leicht abweichende) Verlagsdruckfassung des Theatermärchens vorhanden. Diese zirkulierte jedoch wohl nur theaterintern und wurde nicht öffentlich publiziert.

Beim dritten Bühnenbuch handelt es sich um das Inspizierbuch zu einer Produktion von Dantons Tod von Georg Büchner (SUB - Sondersammlungen A/617497). Das Stück wurde am 08.05.1910 am Thalia Theater Hamburg erstmals aufgeführt. Da die Uraufführung durch die Berliner Freie Volksbühne 1902 in geschlossenen Vorstellungen stattfand, handelt es sich hier vermutlich um die erste öffentliche Vorführung des Dramas. Jessners Regiebuch ist nicht erhalten. Das für den technischen Ablauf der Produktion verwendete Inspizierbuch zeugt jedoch von Jessners auf seine spätere Berliner Arbeit vorausdeutende abstrakte Lichtregie, mit der er den zahlreichen Ortswechseln gerecht wurde. Diese hatten dazu geführt, dass das Stück im 19. Jahrhundert oft als ‚nicht aufführbar‘ eingeschätzt wurde. Besonders an diesem Schriftartefakt ist auch seine mehrfache Verwendung an unterschiedlichen Bühnen und mit unterschiedlichen Ensembles. Leopold Jessner führte das Drama zusätzlich bei den Volksschauspielen für die Hamburger Arbeiterschaft 1911 in einem nicht dauerhaft als Bühne eingerichteten Veranstaltungssaal auf. Somit ergeben sich innerhalb des Buches mehrere Bearbeitungsschichten, deren Entschlüsselung die Tabelle erleichtert.
Für die jeweilige Erarbeitung einer Transkriptionstabelle bedanken wir uns bei Laura Bach (Tausendschönchen), Luisa Dietsch (Dantons Tod) und Hannah Göing (Yvette).
Hamburg, Dezember 2025
Anna Sophie Felser, Martin Jörg Schäfer
English Version
Leopold Jessner’s Hamburg Theatre Work
Transcriptions of Director’s and Inspection Books from the Thalia Theater
Pierre Berton, Yvette (1904) / Amélie Nikisch and Ilse Friedlaender, Prinz Adolar und das Tausendschönchen (1906) / Georg Büchner, Dantons Tod (1910/11)
Edited by Anna Sophie Felser and Martin Jörg Schäfer in collaboration with Laura Bach, Luisa Dietsch and Hannah Göing
Contact: Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer (martin.schaefer"AT"uni-hamburg.de)
This dataset consists of transcriptions of three different staging books from the work of the director Leopold Jessner at the Hamburg Thalia Theater in the early 20th century. The respective written artefacts are part of the theatre collection (Theatersammlung) of the Carl von Ossietzky State and University Library in Hamburg. They have been digitised as part of the second phase of the research project RFD08 ‘Multilayered Writing in Hamburg Prompt Books and Playbooks since the 18th Century’ (2023–25) within the framework of the DFG Cluster of Excellence 2176 ‘Understanding Written Artefacts’. For further information on the research project and the staging books please refer to our detailed exhibition catalogue as well as the digital exhibition tour on Jessner’s theatre work in Hamburg: uhh.de/csmc-jessner.
We provide transcriptions of the following staging books:
Yvette, director’s book, Thalia Theater, Hamburg State and University Library Carl von Ossietzky, SUB Sondersammlungen A/617490. Interleaved copy of a book edition by Pierre Berton, Yvette. Play in 4 acts; based on Guy de Maupassant’s novella of the same name from 1904, published by Ahn in Berlin. Further metadata and digitised version available at: https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1830373463.
Prinz Adolar und das Tausendschönchen. Weihnachtsmärchen mit Musik, director’s book, Thalia Theater, Hamburg State and University Library Carl von Ossietzky, SUB Sondersammlungen TTH TB Nik 1. Handwritten transcript (with blank backsides for the director’s annotations) of the 1906 play by Amélie Nikisch with Ilse Friedlaender. Further metadata and digitised version at: https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1852702478.
Danton’s Tod, inspection book, Thalia Theater, Hamburg State and University Library Carl von Ossietzky, SUB Sondersammlungen A/617497. Interleaved copy of a book edition of Georg Büchner’s Danton’s Tod, published in 1903 by O. Hendel-Verlag in Halle a. S. Further metadata and digitised version available at: https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1807421775.
Our transcriptions refer to both the pages within the respective written artefacts and the numbering of the PDF pages of the digitised copies. Further digitised copies from the theatre collection can be searched for and accessed at https://digitalisate.sub.uni-hamburg.de/.
Background:
The second phase of the RFD08 project focused on multi-layered staging books from the early 20th century: directors’ books, inspection books, but also prompt books and actors’ scripts. All the examined materials date from Leopold Jessner’s time as director at the Thalia Theater in Hamburg (1904–1915). The two director’s books and the one inspection book are from productions directed by Leopold Jessner. In the 1920s, Jessner became one of the most the influential theatre directors in the Weimar Republic and also one of the precursors of 20th century European ‘director’s theatre’ (Regietheater). Jessner’s estate from this period is largely lost, presumably due to his forced exile after 1933. However, the staging books from his employment at the Thalia Theater from 1904 to 1905 have been preserved and provide an essential source for theatre history.
We selected these three staging books as examples because they originate from different production contexts and manifest different writing processes. A transcription table was created for each of the staging books in order to make them accessible for further research. Due to the different material design and use of the books, the tables are not identical: their structure is an individual response to the respective written artefact. The tables are intended to enable and facilitate work with the staging books. The hasty handwriting of director Leopold Jessner, which also mixes the older ‘Kurrent’ script (German cursive) with the contemporary ‘Sütterlin’, is particularly difficult to read; the transcriptions make it accessible and decipherable.

The first is a director’s book by Leopold Jessner for Pierre Berton’s play Yvette, a dramatisation of the novel of the same name by Guy de Maupassant from 1884 (SUB - Sondersammlungen A/617490). The production premiered at the Thalia Theater in Hamburg on 15 May 1904. We selected this director’s book because of its special position in the corpus: unlike in most of his director’s books, Jessner already had his concept in place before rehearsals began. Most of his other director’s books resemble a notebook. The annotations in them seem to have been scribbled down during the rehearsal process and are characterised by great haste and inaccuracy of the handwriting. The Yvette director’s book, however, is part of Jessner’s ‘job application production’ to be hired as a director at the Thalia Theater. Accordingly, it contains rare and detailed sketches and well-thought-out preliminary considerations of the processes.

The second staging book is the director’s book for the Christmas fairy tale Tausendschönchen, also known as Prinz Adolar und das Tausendschönchen by Amélie Nikisch and Ilse Friedlaender (SUB – Sondersammlungen TTH TB Nik 1). It was first performed at the Thalia Theater in Hamburg on 9 December 1906. The play is one of the few dramas written by women that were performed at the Thalia Theater (and on German-speaking stages in general) at the time. It is also a special case on a material level: in addition to Leopold Jessner’s director’s notes, the primary layer of text was also written by hand. Jessner’s template for his annotations was a handwritten copy that was either provided by the theatre publisher or transcribed at Thalia Theater from another, perhaps printed copy. At the beginning of the 20th century, there was a great deal of material diversity when it came to staging books: in addition to the usual variant of printed and interleaved books from the theatre publisher, there were also typescripts, manuscripts and, even more rarely, carbon copies of manuscripts of the text template. In other theatre archives, a (slightly different) printed version of Nikisch’s and Friedlaender’s dramatic fairy tale can be found. But these seem to be copies from the publisher that were only circulated within theatres and never published commercially.

The third staging book is the inspection book for a production of Georg Büchner’s Dantons Tod (SUB – Sondersammlungen A/617497). The play was first performed on 8 May 1910 at the Thalia Theater in Hamburg. Since the premiere by the Berlin Freie Volksbühne in 1902 took place in closed performances, Jessner probably staged the first public performance of the play. His director’s book has not been preserved. However, the inspection book used for the technical aspects of the production bears witness to Jessner’s abstract lighting design, which foreshadowed his later work in Berlin and managed to do justice to the numerous changes of location, which had led to the play to be considered as ‘unstageable’ in the 19th century. What is also special about this written artefact is its multiple use on different stages and with different ensembles. In 1911, Leopold Jessner also staged the drama at the ‘Volksschauspiele’ (plays for the people) for the Hamburg working class. The event hall was not permanently equipped as a stage. This resulted in several layers of reworkings within the inspection book. Our transcription table helps with deciphering these.
We would like to thank Laura Bach (Tausendschönchen), Luisa Dietsch (Dantons Tod) and Hannah Göing (Yvette) for compiling the respective transcription tables.
Hamburg, December 2025
Anna Sophie Felser, Martin Jörg Schäfer