Als erstes fällt auf, dass dein Beitrag ‘Unreadable Script’ in Ausgabe 20 von manuscript cultures nicht allein aus unlesbaren Zeichen besteht. Wir sehen darin Zwischenüberschriften, Bildunterschriften und Referenzen zu Abbildungen, wie wir sie aus anderen mc-Artikeln kennen. Ein solches Spiel mit konventioneller Schrift habe ich noch nirgends in deinem Oeuvre gesehen. Wir wirkt sich das auf deine Zeichen aus?
Die Idee für diesen Beitrag war für mich von der Maxime geleitet, mich dem formalen Layout der mc-Bände anzupassen, aber auch der allgemeinen Gliederung und den Regeln, die für alle wissenschaftlichen Beiträge in einem solchen Band gelten. Mein Beitrag spielt einerseits mit vertraut wirkenden Elementen, die einen formalen und inhaltlichen Bezugsrahmen haben; gleichzeitig wird diese Festlegung unterlaufen, weil die Zeichen das, was sie vielleicht als eine unbekannte Fremdsprache signalisieren, im gleichen Moment torpedieren und nicht einlösen. Da ist einerseits Spannung und Kontrast, aber auch eine Korrespondenz. Die Zeichen bekommen eine neue Rolle, da sie direkt an etwas stoßen, auf etwas treffen, dass sie selbst nicht betrifft.
Ein großer Vorteil ist, dass ich hier ganz unterschiedliche Schriften in einen engen visuellen Zusammenhang stellen konnte, beispielsweise Schreibkürzel mit rasender Geschwindigkeit oder sorgfältig ausgeführte Bewegungspuren, die mit einem breiten Stift fast auf der Stelle treten. Insofern haben die auf Konventionen beruhenden Vorgaben mir eine sehr freie und spielerische Komposition ermöglicht. Auf die jeweiligen Zeichen selbst hat es keinen Einfluss genommen.
Ich finde, dass durch diese Interaktion mit den gewohnten Strukturelementen einer wissenschaftlichen Zeitschrift, spezifisch mit dem Layout von mc, eine humorvolle, vielleicht sogar ironische Note entsteht – vor allem durch die Fußnoten und die unvermittelten lesbaren Einsprengsel wie „(see Fig. 2).“ am Ende eines unlesbaren Absatzes. Hast du mit diesem Beitrag eine liebevolle Persiflage auf das strenge Erscheinungsbild wissenschaftlicher Publikationen geschaffen?
In meiner Zeit als Artist in Residence am Cluster bin ich mit Begriffen in Kontakt gekommen, von deren Bedeutung ich keine oder sogar eine falsche Vorstellung hatte. „Paratext“ ist so ein Wort. Diesen Ausdruck wollte ich für meinen Beitrag fruchtbar machen. Diese Seiten können als ein Paratext verstanden werden, der die Intentionen der Zeitschrift ernstnimmt, sie aber künstlerisch in einen anderen Aggregatzustand überführt und damit kommentiert.
Ja, dies hat sicherlich eine humorvolle Note. Gleichzeitig empfinde ich aber auch das, was du als Strenge bezeichnest. Aus meiner Perspektive könnten und dürften sehr viel mehr Kunstimpulse in solchen Bänden auftauchen. Wissenschaft und Kunst trennen viele Methoden und Arbeitsweisen, aber auch Überzeugungen und Einstellungen. Gleichzeitig habe ich hier am Cluster erlebt, dass wir uns manchmal an den gleichen Fragestellungen abarbeiten. Manchmal denke ich, dass Künstler gerade einblenden, was Wissenschaftler ausblenden. Und umgekehrt. Zu gegenseitigem Respekt gehört ein Augenzwinkern in der Auseinandersetzung.
Eine besondere Rolle nehmen die Abbildungen ein, die sich, obwohl selbst wiederum aus unlesbaren Zeichen bestehend, bemerkenswert klar vom „Haupttext“ abheben. Woran liegt es, dass wir manche Zeichen als Bilder „lesen“ können und manche als Text? Oder lösen deine Zeichen die Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien ganz auf?
Was das Kernthema des Schreibens betrifft, so bestehen auch die Arbeiten, die auf den ersten Blick wie Bilder erscheinen, auf reinen Schreibprozessen. Ich grundiere keine Fläche, auf die ich dann Zeichen setze, sondern schreibe in strengen Zeilen von links oben nach rechts unten. Allerdings überschreibe ich dieses Zeilengebilde mit einem anderen Stift und einer anderen Tinktur. In der Folge löst sich die textliche Zeilenstruktur immer weiter, greifen Zeichen ineinander, vermischen sich und gehen räumliche Beziehungen ein. Es mag manchmal wie Malerei wirken, basiert aber auf geschriebenen Spuren. Bei fig. 2 habe ich auch mit lösungsmittelhaltigen Tinten aus dem Graffitibereich geschrieben, die, wenn sie in eine weiße Schriftschicht eindringen, diese ins Bläuliche umwandeln. Und ich habe tatsächlich in der allerletzten Phase den Kürzeln eine von der Zeile abweichende Positionierung zugestanden. In der Anmutung lässt es diesen strukturellen Text ins Bildhafte kippen. Die Abgrenzung und Trennung zwischen diesen Kategorien verschwimmt. Aber selbst konventionelle Schrift besteht aus Diskursivem (Sprache) und Ikonischem (Bild) und ist demnach, wie Sybille Krämer es bezeichnet, immer eine Hybridbildung.