Was wollte der Soldat seiner Frau und seinen Kindern auf der Postkarte von 1916 mitteilen? Um diese Frage zu beantworten, recherchierte Rainer Krumsiek nach technologischen Methoden, mit denen verblasste Schrift wieder lesbar gemacht werden kann, und stieß dabei auf das CSMC, wo Ivan Shevchuk bereits zahlreiche für das bloße Auge unsichtbare Texte mithilfe der multispektralen Bildgebung rekonstruiert hat, einer nicht-invasiven Methode zur Wiederherstellung verblasster oder unleserlicher Schrift auf historischen Dokumenten. Dabei wird eine Reihe von digitalen Bildern des Dokuments unter verschiedenen Wellenlängen des Lichts aufgenommen, die vom ultravioletten über das sichtbare Spektrum bis zum infraroten Bereich reichen. Jede Wellenlänge kann unterschiedlich mit Tinten, Pigmenten und dem Material des Dokuments interagieren und oft Text sichtbar machen, der mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist.
Die resultierenden Bilder werden digital verarbeitet und zu einem „Bildwürfel” kombiniert. Mit Hilfe einer speziellen Software können Experten den Kontrast verbessern, Hintergrundrauschen herausfiltern und Unterschiede zwischen Tinte und Untergrund hervorheben, wodurch die verblassten Schriftzeichen wieder lesbar werden. Diese Postkarte ist ein vergleichsweise einfacher Fall: Nach einer Stunde ist die Analyse abgeschlossen.
„Liebe Anna und Kinder! Ich teihle Euch hirdurch mit daß es mir soweit gut geht“, heißt es da. Die Fotografie sei beim „ersten Ausgang in Bergisch-Gladbach“, aufgenommen „von einer Herrschaft, die uns in dem Wald begegnete. Heute hat es hier geschneit.“ Weiter unten erkundigt sich der Verfasser noch danach, was es mit dem Ausbleiben der Post von Tochter Hertha auf sich hat. Sie habe wohl mal wieder kein Papier? Oder müsse sie so viel lernen? Die Bedrohungen des Krieges scheinen auf dieser Postkarte noch weit entfernt, die kleinen Anliegen nicht anders als in Friedenszeiten. Der 24.2.1916 war, so scheint es, ein Tag, dem weder der Verfasser der Postkarte noch ihre Empfängerinnen große Bedeutung beimaßen. Heute ist er, dank technischer Hilfe, einer der wenigen, die in der Geschichte einer Familie eine sichtbare Spur hinterlassen haben.