In Absprache mit den mitgereisten Grazer Kolleginnen haben Sebastian und Greg einen umfangreichen Plan ausgearbeitet, um das Objekt in kurzer Zeit mit einer Reihe unterschiedlicher Verfahren zu untersuchen. „In erster Linie suchen wir nach neuen Anhaltspunkten, die die Codex-These bestätigen oder widerlegen“, sagt Sebastian. „Das ist sehr schwierig, aber ein Schlüssel dazu könnten die Analyse der Löcher in dem Papyrus sein.“ Um besser nachvollziehen zu können, ob und wie sie in den Papyrus gestochen wurden, werden sie im Labor mikroskopisch untersucht. Wenn sich dadurch die Vermutung bestätigt, dass die Löcher menschengemacht sind, wäre das ein wichtiger Schritt in der Beweisführung.
Doch bei den Untersuchungen geht es um mehr als das, wie Greg erklärt: „Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, mit denen wir uns bei dieser Gelegenheit beschäftigen. Zum Beispiel möchten wir wissen, welche Tinten verwendet wurden, und ob es auf dem Papyrus noch Überreste von Schrift oder Zeichnungen gibt, die nicht mehr sichtbar sind. Wenn wir auf der Rückseite des Papyrus Überreste von Schrift entdecken können, wäre das auch ein weiteres starkes Argument für die Codex-These.“ Deswegen werden zusätzlich auch Röntgenfluoreszenz- und Multispektralanalysen durchgeführt. Eine weitere Frage lautet, wie genau der Papyrus später zu einem Teil der Kartonage umgearbeitet wurde, die bei der Mumie, die dem Objekt jetzt den Namen gibt, gefunden wurde.
Alleine die Messungen nehmen über eine Woche Zeit in Anspruch, doch das ist erst der Anfang. Im Anschluss folgt die Auswertung der Daten. Ob sie Erkenntnisse bringen wird, die zu einer Neubewertung der Frage führen, ob das Grazer Mumienbuch wirklich ein Buch ist, ist im Moment noch nicht absehbar. Ein besonderer Platz in der Kodikologie gebührt dem Objekt, das im alten Ägypten als Recyclingmaterial endete und danach über hundert Jahre weitgehend unbeachtet in der Universitätsbibliothek Graz lagerte, schon jetzt. Es zeigt, wie schnell in der Forschung vermeintliche Gewissheiten ins Wanken geraten können – und wie schwer es ist, unsere Beobachtungen mit den uns geläufigen Kategorien zur Deckung zu bringen.