Manuscript Cultures
The Impulse to WriteOn Axel Malik's 'Exceeding Colophon'
2. August 2022
In seinem Vorwort zu Axel Maliks Broschüre "Exceeding Colophon" geht Kunsthistoriker Bruno Reudenbach zentralen Fragen nach, die Maliks Werk aufwirft: "Ist das, was er schafft, wirklich 'Schrift'? Wenn dieser Begriff unzutreffend sein sollte, welchen wollte man an seine Stelle setzen?"
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Axel Malik ist dem Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ seit 2021 als Artist in Residence verbunden. Die damit intendierte Begegnung von Wissenschaft und Kunst ließ sich allerdings pandemiebedingt zunächst nur digital realisieren. Seit September 2021 ist auf der Website des Clusters Maliks Arbeit Increasing Countdown zu sehen, ein horizontal über den Bildschirm laufendes Band von Zeichen, das sich bis zum 27. September 2023, dem Tag der Eröffnung des großen Cluster-Kongresses, täglich um ein Zeichen verlängert. Mit Exceeding Colophon folgt nun ein materiell greifbares Werk, von Axel Malik zur Feier des zehnjährigen Bestehens des CSMC der Universität Hamburg geschaffen.
Man kann Malik als „Schriftkünstler“ bezeichnen – aber ist das, was er schafft, wirklich „Schrift“? Und ist seine künstlerische Tätigkeit, die er selbst „skripturale Methode“ nennt, „schreiben“? Wenn diese Begriffe aber unzutreffend sein sollten, welche wollte man dann an ihre Stelle setzen? Mit derartigen Fragen sieht man sich sehr schnell konfrontiert, blättert man in der Broschüre Exceeding Colophon, die auch als eine Werkschau en miniature verstanden werden kann.
Axel Malik fügt in immer neuen Variationen Zeichen in Reihen neben- oder untereinander. Jedes der Zeichen ist meist deutlich von den benachbarten separiert; nur gelegentlich verbinden sie sich im Duktus einer fortlaufenden Handschrift. Aber auch die wie in Druckschrift für sich stehenden Zeichen sind deutlich als von Hand „geschrieben“ erkennbar.
Kein Zeichen existiert zweimal in dieser sich permanent erweiternden Schriftwelt
Für alle diese Zeichen gilt: Sie gehorchen nicht den üblichen Regeln von Schriftzeichen und Buchstaben. Deren Formen sind festgelegt und wiedererkennbar, sie können deshalb gelesen werden und haben die eine bestimmte Bedeutung. Maliks Zeichen dagegen entstammen allein einem immer wieder neuen, spontanen Bewegungs- und Schreibimpuls, mit denen er Seite um Seite füllt, großformatige Folianten ebenso wie kleinere Bücher im Tagebuchformat. Das heißt auch: Kein Zeichen existiert zweimal in dieser sich permanent erweiternden Schriftwelt aus abertausenden spontan geschaffener Zeichen. Entsprechend bilden diese keine Wörter, haben keine feste Bedeutung, sind also im herkömmlichen Sinne keine Zeichen, be-zeichnen nichts. Damit verweigert sich diese Schrift der Lesbarkeit, ebenso wenig aber ist sie naives Gekrakel.
Was aber lässt uns dennoch auf den ersten Blick und zu Recht von „Schrift“ sprechen? Ausgelöst wird diese Assoziation vor allem durch das künstlerische Arrangement als Ganzes und den damit erzeugten formalen Kontext. Die Reihung annähernd gleich großer Zeichen lässt spontan an Schriftzeilen denken, die von jeweils gleicher Länge und Höhe, umgeben von einem breiten Rand auf einer hochrechteckigen Fläche wie auf einer Buchseite erscheinen.
Und tatsächlich ist das Buch, wozu auch diese Broschüre im Kleinformat zu zählen ist, eine der von Malik bevorzugten Objektformen. Bücher und Manuskripte aber sind üblicherweise mit Schrift gefüllt und werden gelesen, eine Erwartung, die Axel Malik gezielt unterläuft, ohne aber die Anmutung von Schrift aufzugeben.
Als künstlerische Stellungnahmen zum ontologischen Status von Schrift rühren Axel Maliks Arbeiten damit an grundlegende Phänomene
Nur haben wir es bei dieser Schrift nicht mit visualisierter Sprache zu tun, hier gibt es nichts zu lesen, umso mehr aber zu sehen: Zeichen, die mal mit sehr breitem Strich, mal aus feinsten Linien gebildet sind, sehr groß und winzig klein, in unterschiedlichem Rhythmus, eng zusammen oder weit auseinander, mal horizontal, mal vertikal gereiht auf einem Schreibgrund mit einem unterschiedlich angelegten Verhältnis von beschrifteten und freien Flächen. Oft übersehene Eigenschaften von Schrift, nämlich deren visuelle Qualitäten und ästhetische Werte, ja, deren Bildlichkeit, werden auf diese Weise vorgeführt und bewusst gemacht. Als künstlerische Stellungnahmen zum ontologischen Status von Schrift rühren Axel Maliks Arbeiten damit an grundlegende Phänomene, die für Written Artefacts von Belang sind.
In den Kontext Written Artefacts ordnet sich Exceeding Colophon nicht nur durch die Objektform als gebundenes Manuskript ein, dessen beschriftete Seiten man umblättern kann. Mit dem lateinischen Vermerk explicit liber (hier endet das Buch) in lesbarer Druckschrift wird ein konkreter Bezug zur mittelalterlichen Manuskriptkultur hergestellt, ist dies doch die Formel, mit der Schreiber des Mittelalters das Ende eines Buches anzeigten.
Auch der Titel Exceeding Colophon spielt auf ein in vielen Manuskriptkulturen bekanntes Phänomen an. Kolophone sind Vermerke, in denen Schreiber unabhängig von dem im Manuskript enthaltenen Text sehr individuell etwas über ihre Person, über Datum, Ort, Auftraggeber und Zweck oder andere Umstände ihres Schreibens mitteilten. Diese Tradition variierend nutzt Axel Malik die letzte Seite, um seine Broschüre zum festlichen Anlass mit einer Art Signatur zu versehen, mit einem Stempel und einer jeweils individuell von ihm eingetragenen Zeichensequenz. Dies und der rätselhafte Titel Exceeding Colophon markieren im Spiel mit dem wissenschaftlichen Begriff die eigene künstlerische Sphäre, die der Wissenschaft benachbart, aber nicht mit ihr identisch ist.