Bei Mirko Reisser wird die Dominanz des Bildlichen exemplarisch manifest in den vier Buchstaben des Pseudonyms DAIM. Als Visualisierung von Lautwerten sind diese Buchstaben allenfalls in zweiter Linie von Belang. Man kann die Buchstabenfolge sprechen, sie ist aber frei von Semantik. Folgen wir der Erklärung des Künstlers selbst, so lässt sich sagen, dass die Wahl gerade dieser vier Buchstaben auf deren visuellen Eigenschaften beruht, auf dem bildlichen Potential der Buchstabenformen. Der schlanke Vertikalstrich des I und das voluminöse D sind eher instabil mit der Möglichkeit nach rechts oder zu beiden Seiten zu kippen, während A und M mit zwei oder gar drei Fußpunkten Stabilität vermitteln. DAIM bezeichnet also exemplarisch unterschiedliche Möglichkeiten für die Stellung von Buchstaben im Bildraum.
Aber noch in einem anderen Sinn berührt „DAIMmonomania III“ die Kategorie „Raum“. Dass Graffiti als Written Artefacts zum Gegenstandsbereich des Clusters zählen, war schon in der Antragsphase unumstritten, ebenso aber auch, dass bei der Erforschung von inscriptions deren räumliche Konditionen und Kontexte besondere Beachtung finden sollten, deshalb das Research Field B Inscribing Spaces. Für die in diesem Begriffspaar aufgerufenen Interdependenzen bietet unser Bild exemplarisch Anschauungsmaterial. Vor allem lässt sich hier beobachten, welche Folgen es hat, wenn Parameter, die für Inscribing spaces relevant sind, geändert werden.
Der neue Kontext setzt das Ephemere der Graffiti außer Kraft und stellt das Kunstwerk im Gegenteil auf Dauer.
Der Begriff street-art zeigt es an: Genuin ist diese Gattung eigentlich dem öffentlichen Raum zugehörig, Bilder und Schriften, oft illegal gesprayt an die Außenwände von Gebäuden, an Brücken oder S-Bahnen. Für unser Bild aber ist nun der semi-öffentliche Innenraum eines Bürogebäudes von Belang; es könnte auch der einer Galerie oder eines Museums sein oder der gänzlich private einer privaten Kunstsammlung. Mit der Verlagerung von außen nach innen, aus dem öffentlichen in den semi-öffentlichen oder privaten Raum hat sich hier zugleich der Schrift/Bildträger gewandelt – von der Wand selbst zum an der Wand hängenden Tafelbild. Als Gedankenexperiment kann man sich vorstellen, hier wäre nicht das Geviert eines Tafelbildes an die Wand gehängt, sondern ein piece direkt auf die unregelmäßig geformte Treppenhauswand gesprayt. Wie würde das im Vergleich zum Tafelbild unsere Wahrnehmung des Foyers verändern und wie würde umgekehrt die Verschiedenheit der Schrift/Bildträger das jeweilige Schrift/Bild beeinflussen?
Darüber hinaus schließen die Wechsel von Kontext, Schrift/Bildträger und Format einen Statuswechsel ein. Das vormals illegale Sprayen ist als klassisches Tafelbild zum Kunstwerk nobilitiert, erst recht in der hier erkennbaren Form als Triptychon, eine Form, die von Altarbildern stammt. Die Versetzung aus dem öffentlichen Außenraum heißt auch, dass das Bild in einem Innenraum und im Kontext einer Sammlung – womit ein weiteres Research Field aufgerufen wäre – als Kunstwerk unter Schutz gestellt ist. Der neue Kontext setzt das Ephemere der Graffiti, die stets in Gefahr sind, entfernt, übermalt oder übersprayt zu werden, außer Kraft und stellt das Kunstwerk im Gegenteil auf Dauer.
Es sollte nun nicht darum gehen, unser Bild auf Korrespondenzen mit Research Fields des Clusters einzuengen und Kunstgenuss oder die ästhetische Aufwertung des Foyers gering zu schätzen. Darüber hinaus aber kann, ja sollte dieses Werk auch ein dauerhafter Anstoß sein, Fragen zu stellen, die so noch nicht im Fokus standen, oder Antworten zu finden, wie sie in diesem oder jenem Projekt noch nicht bedacht wurden.