Eine von ihnen ist die Lebensmittelchemikerin Marina Creydt. Insgesamt vier Wochen verbringt sie in Puducherry, begleitet von Jan Niggemann, der auch an der Entwicklung des Container Labs beteiligt war, und Robin Dammann. Sie helfen Marina dabei, das Labor funktionstüchtig zu machen. Die erste Hürde dabei: Der Strom in Puducherry fällt regelmäßig aus. Um sicherzustellen, dass die Laborgeräte dadurch keine Schäden erleiden, müssen diese Netzschwankungen mit Dieselgeneratoren, die im Container Lab verbaut sind, und Akkus abgefangen werden. Jan macht sich an die Arbeit; nach kurzer Zeit erklingt das gleichmäßige Summen der Generatoren. Die Klimaanlagen springen an. Gleichzeitig starten die Kühl- und Gefrierschränke, in denen die Chemikalien, die in den nächsten Tagen geliefert werden sollen, gelagert werden sollen.
Jetzt kann Marina die mitgelieferten Analysengeräte installieren. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf einer Flüssigkeitschromatographie-Anlage, die sie mit einem Massenspektrometer und Computer verbinden muss. Sie verlegt dutzende Kabel, aber die Kommunikation zwischen den einzelnen Modulen funktioniert nicht. Marina kontaktiert einen Techniker in Deutschland und setzt unter seiner Anleitung alle Module auf Werkseinstellungen zurück. Durch diesen Neustart lässt sich der Fehler beheben, am nächsten Tag können die ersten Testmessungen beginnen.
Ob Spargelstange oder Palmblattmanuskript, die Vorgehensweise bleibt gleich
Marina kennt sich aus, wenn es darum geht, die Herkunft oder biologische Identitäten von organischem Material zu bestimmen. In ihrem Arbeitsalltag geht es dabei meistens um Essbares, zum Beispiel Spargel: Ob Spargel aus Deutschland oder aus Polen stammt, sieht man ihm nicht an. Allerdings kann sich der Preis je nach Herkunft stark unterscheiden, weshalb falsche Angaben auf dem Etikett lukrativ sein können. Das chemische Profil des Spargels basiert auf endogenen oder exogenen Faktoren wie dem Wetter oder der Bodenzusammensetzung. Mittels des Massenspektrometers kann Marina diese Unterschiede detektieren. Die meisten der dafür notwendigen Arbeitsschritte bleiben die gleichen, wenn sie statt der Spargelstangen Palmblattmanuskripte untersucht.
Einen entscheidenden Unterschied gibt es aber doch: Anders als deutscher Spargel gehören die indischen Palmblattmanuskripte zum Weltkulturerbe. Von ihnen kann Marina nicht einfach Proben nehmen, indem sie ein Stück herausschneidet. Deswegen haben lokale Partner des PLMPI-Projekts vor ihrer Ankunft zahlreiche frische Palmblätter von verschiedenen Orten in Südostindien gesammelt. Von diesen kann sie die 50 bis 100 Milligramm, die sie für ihre Untersuchungen benötigt, bedenkenlos und wiederholt entnehmen und damit ihre Methoden optimieren. Die Idee dabei: Wenn es gelingt, die frischen Palmblätter, deren genaue Herkunft bekannt ist, voneinander zu unterscheiden und ihre Artzugehörigkeit analytisch zu bestimmen, lässt sich die Vorgehensweise auch auf die Manuskripte übertragen. Im Fokus der Analysen stehen Metabolite, also kleine Stoffwechselprodukte. Allerdings wissen Marina und ihre Kollegen noch nicht, welche Moleküle geeignet sind, um Manuskripte entsprechend zu charakterisieren. Unter anderem um das herauszubekommen, ist sie mit dem Container Lab in Indien.
Die Eigenheiten der regionalen Fauna haben das Hightech-Labor in kürzester Zeit eingeholt.
Eine der Unwägbarkeiten bei diesem Vorhaben sind die Arbeitsbedingungen im Labor. Dieses ist robust gebaut, aber natürlich lassen sich Umwelteinflüsse nicht vollständig aussperren. So war schon bald nach dem Aufbau des Ensembles klar: Tagsüber wird es trotz Klimaanlage zu heiß in den Containern, in denen neben Instrumenten ja auch Menschen funktionsfähig bleiben müssen. Deswegen wurde in Windeseile eine traditionelle tamilische Dachkonstruktion darüber errichtet – passenderweise aus Palmblättern. Doch damit nicht genug: In Puducherry wimmelt es vor Termiten. Die im Labor zu haben, ist aus mehreren Gründen unerwünscht. Zum Schutz wurde, auch das ist in der Region üblich, ein schmaler Wassergraben um das Container Lab gezogen. Wo Wasser ist, gibt es allerdings auch Mücken, weswegen der Wassergraben mit Guppys bestückt wurde – Zierfische, die die Larven fressen. Leider endet die Nahrungskette nicht beim Guppy: Auf dem Gelände versammeln sich nun regelmäßig zahlreiche Krähen, die auf ihre Chance warten, einen Fisch zu erbeuten. So haben die Eigenheiten der regionalen Fauna das Hightech-Labor in kürzester Zeit eingeholt.
In den kommenden Monaten wird in Puducherry der Monsum einsetzen. Bereits im Spätsommer kündigt er sich an, die Luftfeuchtigkeit ist extrem, der Regen wird häufiger. Bald wird er ununterbrochen fallen und die Weiterarbeit bis Januar unmöglich machen. Der Plan von Marina und ihren Kollegen war für diese erste Indienreise deswegen von vornherein eng abgesteckt: ankommen, die Kontakte vor Ort herstellen, aufbauen, in Betrieb nehmen, die ersten Chemikalien bestellen – der wissenschaftlich entscheidende Teil der Arbeit folgt nach der Regenpause. In welchem Zustand sich das Labor und die Geräte befinden, wenn das Team Anfang 2025 wiederkommt, bleibt abzuwarten. Wenn zum Beispiel Wasser in die Schläuche des Massenspektrometers eindringt, können sich Schimmel und Algen bilden. Marina hat sie vor ihrer Abreise deshalb vorsorglich mit Isopropanol befüllt, um dieses Risiko zu minimieren. Aber es gibt andere, unbekannte. So gut wie alles in diesem Projekt ist Neuland. In erster Linie mag es in diesem Forschungsprojekt um Palmblattmanuskripte gehen. Wie viel mehr es bei solch einem Unterfangen dazuzulernen gibt, haben alle Beteiligten aber jetzt schon erfahren.