Artist in Residence für drei MonateDer Porträtist der Schrift
7. November 2023

Foto: Tim Plamper
Der Künstler Philip Loersch ist seit Oktober 2023 Artist in Residence am Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ (UWA). Im Interview erklärt er, warum er Buchseiten zeichnet, wie Lexika ihn inspirieren und was er in seiner Zeit am Exzellenzcluster ausprobieren will.
Read the English version of this interview here.
Philip Loersch, Sie selbst sagen über Ihre Zeichnungen, dass sie „nicht wie Zeichnungen aussehen“. Betrachter finden auf Ihren Bildern scheinbar gedruckte Schrift, die in Wirklichkeit jedoch mit der Hand gezeichnet ist. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Während des Entstehungsprozesses meiner Arbeiten habe ich schon immer viel gelesen, wobei ich mich früher nicht mit der Schrift selbst, sondern ausschließlich inhaltlich mit den Texten beschäftigt habe. Es ging mir häufig um grundsätzliche Fragen der Mathematik und Physik. Daraus sind viele Zeichnungen entstanden. Vor allem Diagramme faszinierten mich! Und dann fragte ich mich irgendwann: Wenn dieser Text so unglaublich spannend ist, dass er mich zu einer Zeichnung anregt, warum zeichne ich dann nicht einfach den Text selbst? So fing ich 2012 an, ‚Porträts‘ von Buchseiten anzufertigen. Seitdem hat mich das Thema Schrift nicht mehr losgelassen.
Wie finden Sie die Texte für diese Porträts?
Zum einen interessieren mich Aufsätze oder Bücher, in denen es um das Schreiben selbst geht, zum Beispiel in der Reihe „Zur Genealogie des Schreibens“. Zum anderen verwende ich gerne antiquarische Bücher wie etwa Lexika aus den 1970er- oder 1980er-Jahren. Die sind zwar nicht so alt, aber heute benutzt sie niemand mehr. Ich habe angefangen, sie zu lesen, wie sonst niemand es tun würde, nämlich einfach von vorne nach hinten. Aufgrund der alphabetischen Auflistung findet man vollkommen kuriose Nachbarschaften. Aus dem Material, das ich dabei sammelte, sind viele Arbeiten entstanden, zum Beispiel „Gregor“.

Als Material für die Arbeiten haben Sie häufig Stein gewählt. Warum?
Auf Stein bekommen die Texte den Charakter eines quasi-archäologischen Fundstücks, wie etwas, das aus ferner Vergangenheit zu uns gekommen ist. Ich interessiere mich sehr für die uralte Tradition, auf Stein zu schreiben beziehungsweise in Stein zu meißeln.
Auch am Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ wird mein erstes Projekt eine Steinarbeit sein: Beim Stöbern durch einige Hefte aus der im Cluster erschienen Reihe manuscript cultures hatte ich den Gedanken, dass sich irgendwann Menschen mit diesen Heften so auseinandersetzen werden, wie Forschende am Cluster das heute mit Schriftartefakten aus der Vergangenheit tun und dabei selbst wiederum schriftliche Zeugnisse hinterlassen. Nun wird die Doppelseite eines dieser Hefte aus dem Stein herauswachsen und selbst zum Artefakt.
Was versprechen Sie sich von Ihrer Zeit als Artist in Residence am Exzellenzcluster UWA?
Für mich ist eine Forschungseinrichtung wie UWA Neuland, aber natürlich gibt es durch die explizite Beschäftigung mit Handschrift eine naheliegende Verbindung. Ich hatte bereits die Gelegenheit, mich mit einigen WissenschaftlerInnen am Cluster auszutauschen. Sie zeigten mir zum Beispiel verschiedene Materialien, auf denen in unterschiedlichen Schriftkulturen geschrieben wird: Bambus in allen möglichen Formen oder auch Baumrinde. Ich hoffe, am Cluster ein paar Experimente mit diesen Schreibmaterialien zu machen und daraus wieder einiges für meine Arbeit zu ziehen. Gleichzeitig wünsche ich mir aber auch, dass Forschende gewisse Impulse für ihre Arbeit finden, indem sie sich mit meinen Zeichnungen auseinandersetzen. Vor allem in den teilweise völlig unterschiedlichen Herangehens- und Arbeitsweisen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Künstlerinnen und Künstlern sehe ich Möglichkeiten, die zu spannenden Ergebnissen führen können.