Eröffnung am 12. September„Alles ist durch Atmosphären der Unlesbarkeit vernetzt“
11. September 2023
Foto: UHH/Esfandiari
In diesem Herbst verwandelt Axel Malik die SUB Hamburg in „Die fiebrige Bibliothek“. Im Interview spricht er über die Wirkung, die Kunst im öffentlichen Raum entfalten kann, und weswegen Bibliotheken die idealen Räume für seine unlesbaren Zeichen sind.
This interview is also available in English
Die Nutzerinnen und Nutzer der SUB werden zwei Monate lang jeden Tag beim Betreten des Gebäudes Ihre Zeichen sehen und an verschiedenen Orten darin wieder auf sie stoßen. Was ist das Besondere an der Wirkung von Kunst, der wir an alltäglichen Orten begegnen statt beispielsweise in einer Galerie? Und warum entscheiden Sie sich oft für die „Intervention“ in belebten Räumen?
Kunst, die an anderen Orten als den erwartbaren Flächen des Kunst- und Ausstellungssystems auftritt, kann andere Wahrnehmungsräume öffnen und andere Zugangsweisen ermöglichen. Sie erzeugt in der Wahrnehmung eine Spannung, indem sie mit dem Raum, aber eben auch mit den Funktionen und Inhalten des Ortes oder der Institution eine Beziehung eingeht. Ihr kommunikatives Potential der Reibung und Auseinandersetzung kann Kunst in öffentlichen und dynamischen Zonen von Arbeit, Leben und Lernen sehr gut einbringen. Man kann sich der Kunst dabei auf eine ganz individuelle Art annähern und sie über beliebige Zeiträume durch wiederholtes Sehen in unterschiedlichen Distanzen und Momenten erleben. Dies lässt ein breites Spektrum von Perspektiven und subtilere Prozesse von Reflexion und Wahrnehmung zu.
Da es bei meinem künstlerischen Projekt um Schrift, Schreiben und Zeichen geht, ist es besonders relevant, den Dialog an Orten zu initiieren, die aus sich selbst heraus eine hohe kommunikative Aufladung haben. Beispielsweise spielen bei meiner Installation in der SUB die beiden Drehtüren am Ein- und Ausgang eine Rolle. Ein eigentlich nebensächlicher und rein funktionaler Vorgang – das Betreten oder Verlassen der Bibliothek – bekommt eine besondere Bedeutung, weil sich körpergroße Zeichen, die ein Gegenüber bilden, mit in die Bewegung einmischen. Und sie zeigen beim Hereinkommen und Herausgehen jeweils eine andere Seite.
Sie haben schon früher in einigen namenhaften Bibliotheken Installationen geschaffen, zum Beispiel in Berlin und Weimar, zuletzt in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek. Warum immer wieder Bibliotheken?
Bibliotheken, verstanden als riesige kulturelle Speicher, deren Archive aus distinkten, also lesbaren, typografisch eindeutig bestimmten Zeichen bestehen, scheinen zunächst der unpassendste Raum für unlesbare Zeichen und Atmosphären der Unlesbarkeit zu sein. Aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.
Handschriftliche Spuren, skripturale Setzungen in Form unlesbarer, aber nicht unleserlicher Zeichenprozesse, können unerschlossene Horizonte der Verschriftlichung öffnen. Sie können Intensität, Weite und Wucht von komplexen und filigransten Bewegungskaskaden freilegen, die sich in ihrer individuellen, ungesteuerten Form nie wiederholen. Damit deuten sie auf ein unglaublich differenziertes Beziehungsvermögen und extrem feinfühliges seismografisches Potential, das der handschriftlichen Spur der Schreibbewegung selbst zukommt, wenn sie aus ihrem konditionierten Gefüge typografischer Enge heraustritt.
Da in Bibliotheken auch das verhandelt und verortet wird, was Schrift und Schreiben nicht nur bedeuten, sondern sein und werden können, ziehen mich deren Räume an. Im Grund schlage ich eine Erweiterung des Schriftbegriffs vor, die auch die ungesteuerten autopoetischen Affekte der Schreibbewegung und des Schriftkörpers einbezieht. Und welche Orte könnte besser geeignet sein, diesen Vorschlag in den kulturellen Diskurs einzubringen, als Bibliotheken?
Welche Eigenschaften machen einen Raum für Sie interessant? Welche Flächen sind geeignet, mit Ihren Zeichen zu interagieren?
Alle architektonischen Besonderheiten, die von der Norm abweichen oder die als gebauter Raum selbst eine Aussage machen, gestaltete Form sind, sind per se interessant. Flächen, die unterschiedliche Blickachsen und vielfältige Distanzen in der Betrachtung zulassen, lassen sich durch Zeichen sehr gut markieren und skriptural besetzen.
Sie haben sich die SUB oft und gründlich angeschaut, während Sie das Konzept für die „Fiebrige Bibliothek“ entwickelt haben – worin liegt für Sie die Charakteristik der SUB, und wie spiegelt sie sich in Ihrer Installation?
Auf das Gebäude kann man von zwei unterschiedlichen Seiten, von schräg rechts wie von schräg links zugehen. Vor dem leicht tunnelförmigen Eingang in der Mitte stehend, erhebt sich eine breite Fassadenfront, deren rhythmische Gliederung und breite Glasflächen eine Durchlässigkeit zwischen dem Innen und Außen vermitteln. Sowohl auf den Eingang, der mit Figurinen und Zeichenkörpern markiert wird, wie auch die Fassade, die mit Zeichen vertextet wird, wollte ich reagieren.
Innen besitzt die Bibliothek trotz ihrer verschachtelten Bereiche eine durchgängige Ausstrahlung. Dort werde ich verschiedene Zonen mit sehr unterschiedlichen Arbeiten markieren und aufladen. Meine strukturellen Texte werden teilweise sehr deutlich die Geschwindigkeit, den Sog oder die Dauer der Schreibprozesse zum Ausdruck bringen. Die hitzigen und fiebrigen Dynamiken, aber auch die entschiedenen Richtungswechsel, die der Schreibbewegung innewohnen, werde ich ausloten. Alles ist durch Atmosphären der Unlesbarkeit miteinander vernetzt.
Mit der Ausstellung und der parallel stattfindenden UWA-Konferenz „Studying Written Artefacts“ endet auch Ihr „Increasing Countdown“, mit dem Ihr Engagement als Artist in Residence vor zwei Jahren begonnen hat. Wie haben sich die Eindrücke, die Sie in dieser Zeit gewonnen haben, in Ihrer Arbeit niedergeschlagen?
Die Vielfalt der Eindrücke, Begegnungen und Auseinandersetzungen, die sich alle auf einer Achse zwischen Kunst und Wissenschaft ereignet haben, lassen sich schwer und schon gar nicht in kurzer Form beantworten. Dazu hat vieles zu viel Gewicht und auch Komplexität. So inspirierend ein Zusammentreffen von wissenschaftlichen und künstlerischen Impulsen sein kann, sind die Methoden und Strategien, nach denen Wissenschaftler und Künstler arbeiten, doch sehr gegensätzlich. Es zeigen sich neben produktiven Schnittstellen auch Inkompatibilitäten. Auf beiden Seiten wird die gleiche, aber eben doch auch eine ganz andere Sprache gesprochen.
Das Cluster und Irina Wandrey von der CSMC-Bibliothek als Herausgeberin streben mit mir als Mitherausgeber als eine Art Kulminationspunkt ein Buch an, das entscheidende Prozesse, Fragestellungen aber auch neue Aspekte widerspiegeln und reflektieren wird. Der Band wird viele meiner Arbeiten zeigen, die während dieser Jahre in diesen Kontexten entstanden sind.
Die fiebrige Bibliothek
Eine Zeichen-Installation von Axel Malik
Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky (SUB)
12. September bis 31. October 2023
Eröffnung: 12. September, 18:00 Uhr, am Haupteingang der SUB. Anmeldung: pr"AT"sub.uni-hamburg.de